Das Recht auf Stadt soll gefälligst auch auf dem Land Einzug halten – Diese Floskel haben wir in den vergangenen Jahren häufig gebraucht, um unsere Forderungen zum ländlichen Raum auf den Punkt zu bringen. Und es stimmt ja auch. Auch und besonders in der Pampa wollen wir kurze Wege, Perspektive, einen ÖPNV, der diesen Namen verdient, gute und nahe (Aus-)Bildungsmöglichkeiten, Party und Kultur undundund. Die Freiheit, zu tun was wir wollen, wann wir es wollen. Aber es ist ja nicht so, dass in der Stadt automatisch alles geil wäre und in der Provinz alles doof. Die ganzen Verdrängungsmechanismen die in der Stadt um sich greifen, der Mietenwahnsinn und der Wohnungsmangel, die Luftverschmutzung, der Lärm, der ständige Stau. Es gibt durchaus Gründe dafür, weshalb sich Menschen aktiv dafür entscheiden, den Großstädten den Rücken zu kehren. Unserer Meinung nach muss eine zukunftsgewandte Provinzpolitik die Vorzüge der ländlichen Regionen in den Mittelpunkt stellen und gleichzeitig den Finger dahin legen, wo immense Nachholbedarfe liegen. Wir wollen, dass neue Dinge entstehen und nicht erst Kämpfe darum geführt werden müssen, dass Bestehendes nicht wegfällt.

Das Leben in der Provinz soll abgefahren sein – Nicht der letzte Bus um 15.20 Uhr

Ein ganz zentraler Punkt hierbei ist die Mobilität. Oft ist es nicht so, dass es in den Regionen keine Angebote gäbe – sie sind schlichtweg für jung und alt nicht erreichbar. Zu einem selbstbestimmten Leben gehört es, immer und überall dahin (und wieder weg) zu kommen, wo man* es eben möchte. Wir fordern den Ausbau der ÖPNV-Verbindungen und ein regelmäßiges Angebot des Linienverkehrs zu allen Tages- und Nachtzeiten, gern unterstützt durch individuelle Ruf-Angebote. Dass viele Orte in allen Regionen Sachsens schon nachmittags (Oder am Wochenende. Oder wenn Ferien sind.) nicht mehr erreichbar sind, ist ein absolutes Unding. Die Ausdünnung der Fahrpläne mit der Begründung, dass immer weniger Leute den Bus nutzen, was gleichzeitig als Rechtfertigung für steigende Fahrpreise genutzt wird, ist eine selbsterfüllende Prophezeiung und führt zu einem Teufelskreis, der schlicht und ergreifend durchbrochen werden muss. Die flächendeckenden Schulschließungen, insbesondere im ländlichen Raum, müssen rückgängig gemacht werden. Busfahrzeiten von bis zu einer Stunde hin zur Schule sind für viele Schüler_innen in Sachsen Realität – ebenso, wie dass ihnen die Teilnahme an AGs, der Musikschule, dem Sportverein am Schulstandort oder ein simpler Hangout mit ihren Freund_innen dadurch verunmöglicht wird, dass sie danach nicht mehr nach Hause kommen. Ein längeres gemeinsames Lernen in einem Schulzentrum würde neben den vielen anderen Vorteilen dazu führen, dass die Kinder nach den ersten Jahren nicht die Grundschule um die Ecke verlassen müssten. Diese Schulzentren könnten dann auch von Fahrzeugen des Nahverkehrs effizienter und regelmäßiger angefahren werden, so dass ein individueller Hin-und Rückweg gewährleistet werden kann. Wenn junge Menschen nicht erst ihre Region verlassen müssen, weil der Weg zu ihrer Studiums- oder Ausbildungsstätte so unerträglich lang ist, müssten nicht extra Anreize geschaffen werden, um sie wieder „zurückzuholen“. It‘s all about the Perspektive. Zum selbstbestimmten Leben gehört es, ungezwungen entscheiden zu können, wo man* leben möchte und wo eben nicht. Und bei alledem muss natürlich auch auf dem Land die Barrierefreiheit mitgedacht werden. Außerdem benötigt es Radwege von Dorf zu Dorf, überall. Wenn die Kidz vom Skaten, von der Bandprobe, vom chillen am See oder von Parties nicht anders nach Hause kommen, als in der Dunkelheit über Landstraßen zu fahren, sind Katastrophen vorprogrammiert. Auch Bikepunx haben das Recht, sicher nach Hause radeln zu können. Und über Radwege freuen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die älteren Semester.

Lasst die jungen Leute doch mal machen

Auf dem Lande gibt‘s hervorragende Möglichkeiten, sich frei zu entfalten. Viele leerstehende Häuser, alte Fabriken, Brachflächen und insgesamt weniger Leute, denen man* damit auf den Keks geht. Unkommerzielle Nutzung muss unkompliziert möglich sein, meinen wir. Aber so einfach ist das leider trotzdem nicht. Selbstgeschaffene Freiräume, ob als Haus- und Kunstprojekte, als selbstverwaltete Jugendzentren oder Freiräume, werden im besten Fall skeptisch beäugt, meist jedoch aggressiv mit gesetzlichen Hürden konfrontiert. In den seltensten Fällen erfahren die Aktiven Unterstützung oder gar Förderung von staatlicher Seite, um sich selbst und ihre Ideen verwirklichen zu können und damit alternative Lebensformen Gelegenheit zur Entfaltung zu bieten. Dabei wäre genau das so wichtig! Jugendclubs müssen flächendeckend vorhanden sein. Neben verschiedenen Freizeitangeboten wie Bandproberäumen, Sportanlagen und kreativen Arbeitsbereichen gehört es jedoch auch dazu, Bildungsarbeit zu leisten sowie gegen menschenfeindliche Ideologien zu arbeiten. Gerade in Sachsen gibt es eine vergleichsweise hohe Zahl an selbstverwalteten Jugendzentren, die seit Jahren in der Provinz die Fahne hoch halten und großartige Arbeit leisten. Sie gilt es zu unterstützen und gleichartige Projekte in anderen Dörfern und Städten zu fördern. Denn derzeit ist es leider nicht absehbar, dass kommunale Kulturbetriebe ein Herz für Punk-, Hip-Hop- oder Hardcore-Shows entwickeln – Von ordentlicher elektronischer Musik (also alles was über Gestört aber Geil hinausgeht, no front) mal ganz zu schweigen. Jugendliche müssen empowert werden, um mitgestalten zu können und ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Eine Möglichkeit hierzu ist die Schaffung einer Jugendquote in Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen. Mindestens 10% der Mitglieder sollen das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben dürfen.

„National befreite Zonen“? No f*cking way!

In dünn besiedelten Gebieten ist das Verbreiten fremdenfeindlichen und allgemein unemanzipatorischen Gedankenguts einfacher als in urbanen Räumen, da gibt es nichts zu beschönigen. Jugendliche, die seit ihrer Kindheit mitunter Trost- und Perspektivlosigkeit sowie abgekapselte Dorfgemeinschaften erleben, sind unter Umständen empfänglicher für einfache Lösungen und rechte Ideologie, zumal sie selbst im Kindergarten oder in der Schule nicht oder kaum mit Migrant_innen in Kontakt kommen, um ihre Vorurteile abbauen zu können. Konzepte der „akzeptierenden Jugendsozialarbeit“, wie in Sachsen gerade in vergangenen Jahrzehnten gern angewandt, tun dazu ihr Übriges – sofern es denn überhaupt noch Jugendclubs gibt. Was oft fehlt, sind Menschen die sichtbar dagegenhalten. Weil antifaschistisches Engagement dort, wo jede_r jede_ n kennt, mit Gefahren für Leib und Leben verbunden ist und alternative Rückzugsräume fehlen. Weil die Neonazis es sich zur Strategie gemacht haben, ausgewählte Dörfer und Regionen zu besiedeln und dort für anders Aussehende, Denkende oder Liebende ein Klima der Angst zu schaffen. Hier gilt es, geschlossen dagegenzuhalten und Solidarität praktisch werden zu lassen. Sprich: Nicht in den Connewitzer oder Neustädter Blasen zu versauern, sondern durchaus dahin gehen, wo es wehtut. Dorfantifas fragen wo der Schuh drückt, Unterstützung anbieten und vorallem auch dabei helfen, vorhandenes Engagement sichtbar zu machen. Dorf-AJZs unterstützen, auch mal aufs Land zu ner Demo fahren damit da nicht immer die gleichen 30 Leute sind und bedenken, dass die Probleme in der Stadt und auf dem Land andere sind und demnach auch innerlinke Diskurse anders gehandhabt werden können oder anders weit fortgeschritten sind. Zur Aufbrechung von Nazistrukturen, egal ob bereits verfestigt oder erst im Entstehen, bedarf es schlichtweg einer Stärkung der Entfaltung von alternativen Jugendkulturen. Zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Bürger_innenbündnisse müssen staatlich anerkannt und finanziell unterstützt werden. Rassistische Übergriffe gehören genauestens dokumentiert, bedrohte Menschen durch die örtliche Polizei geschützt. Das Ehrenamt generell gehört stärker gefördert – ohne bürokratische Hürden.

Daseinsvorsorge means more than just Strom und Wasser

Das 21. Jahrhundert muss nicht zuletzt auch in Form von Breitbandanschlüssen und Mobilfunkabdeckung endlich auf dem Land Einzug halten. Dass es in Sachsen auch heute noch viele Orte ohne Internetzugang gibt, ist so traurig wie wahr. Der Begriff der Daseinsvorsorge gehört deutlich ausgeweitet. So ist es durchaus denkbar, in so manchem Dorf bei fehlendem Angebot kommunale Bäckereien oder Tante-Emma-Läden zu fordern, da diese neben der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln auch eine soziale Funktion besitzen. Neue Modelle der Nachbar_innenschaftshilfe, sind auszuprobieren und zu unterstützen, gleiches gilt für Ideen wie Tauschmärkte oder neue Konzepte wie das des „multiplen Hauses“. Und wenn es an vielen Orten wie selbstverständlich kommunale Schauspieleinrichtungen gibt – weshalb fordern wir nicht die Einrichtung kommunaler Kinos? Solche kulturellen Orte sind nicht nur Unterhaltungsangebote, sondern bringen Menschen miteinander in Kontakt. Die um sich greifenden Privatisierungen müssen aufhören und Rekommunalisierungen eingeleitet werden, Kommunen gehören ordentlich ausfinanziert, um von ihrem festgeschriebenen Selbstverwaltungsrecht auch tatsächlich Gebrauch machen zu können. Die Vielzahl an Eingemeindungen der vergangenen Jahre hat viele Menschen das Gefühl gegeben, die Bindung zu „ihrem“ Dorf zu verlieren und in erster Linie für weitere Wege zur Gemeindeverwaltung gesorgt. Dass eine Stadt wie Grimma über mittlerweile 69 Ortsteile verfügt und damit flächenmäßig die viertgrößte Stadt Sachsens ist, kann nicht Sinn der Übung gewesen sein. Wir fordern daher eine vom rein finanziellen Faktor unabhängige Prüfung, wo Eingemeindungen sinnvoll im Sinne einer Entbürokratisierung sind und wo sie Quatsch sind und zurückgenommen werden müssen. Bestrebungen der interkommunalen Kooperation, der Verwaltungsmodernisierung und des E-Government sind hingegen zu unterstützen und werden bereits vielerorts getestet. Es ist wahr, dass einige Regionen Sachsens am ausbluten sind. Für uns ist das Leisten von Sterbehilfe für einzelne Landstriche, wie es in der Diskussion von 2016 von mancher Seite gefordert wurde, keine Option. Den Ausblutungstendenzen muss in oben geschilderter Weise entgegengetreten werden, ohne Gebiete dabei aufzugeben. Denn so unwahrscheinlich es uns manchmal erscheinen mag: Ein jeder Fleck Dunkelsachsens kann eines Tages so schön sein, dass Menschen nichts lieber täten, als dort zu wohnen. Und zum Recht auf Mobilität gehört eben auch, dort bleiben zu können, wo man* gerade ist.

Wir fordern

  • Regelmäßige und flexible ÖPNV-Verbindungen an jedem Tag, auch abends und in der Nacht
  • Einrichtung örtlicher Schulzentren
  • Unterstützung alternativen Jugendzentren und Initiativen, Förderung der unkommerziellen Nutzung von Leerstand und Brachflächen
  • Einführung einer Jugendquote für Stadt- und Gemeinderäte sowie Kreistage
  • Unterstützung antifaschistischer Initiativen, Anerkennung zivilgesellschaftlicher Vereine und Bürger_innenbündnisse
  • Umfangreiche öffentliche Daseinsvorsorge, was auch Lebensmittelläden und Kinos umfassen kann
  • Kein Gebiet wird aufgegeben
  • Schaffung von Bleibeanreizen – insbesondere für junge Frauen*