Seifenoper und Oper nicht gegeneinander ausspielen

Kultur äußert sich auf vielfältige Art und Weise. Ob in Wissenschaft, Bildung, Kunst oder dem eigenen Kiez – überall agieren Menschen als Träger_innen, Produzent_innen und Empfänger_innen kultureller Inhalte. Über Kultur verteilt sich auch gesellschaftliche Teilhabe und Macht: Nahezu in jedem gesellschaftlichen Bereich kommt die kulturelle Distinktion („Abgrenzungsbedürfnis“) zum Tragen, sei es in Sprache, Kleidung oder einfach nur im Auftreten. Über das frühzeitige Erlernen und souveräne Beherrschen kultureller Muster und Stereotypen erkauft man* sich in der heutigen Gesellschaft häufig den Zugang zur „besseren Gesellschaft“. Dabei ist dieser Zugang extrem ungleich verteilt. Wir wollen eine Kulturpolitik, die in erster Linie Menschen dazu befähigt, sich aktiv einzubringen.

Jenseits des Kanons – der „Leitkultur“ den Rücken kehren

Kultur bedeutet immer auch das Bewahren und Verstehen bereits erreichter und dagewesener Höhen. Goethe, Schiller, Brahms und Bach werden dabei zum Inbegriff dessen, was an Kulturleistungen erbracht wurde und woran sich der menschliche Geist entwickeln soll. Darum werden sie immer wieder aufgeführt und Jahr für Jahr in hunderten Schulklassen behandelt. Durch diesen rein konservierenden und konservativen Zugang verlieren jedoch selbst die größten Werke ihre Lebendigkeit und Bedeutung – die doch immer von der_dem Einzelnen für sich neu entdeckt werden müssten. Im Sinne einer emanzipatorischen Kulturpolitik gilt es aus unserer Sicht vor allem, ein Bewusstsein für die eigene aktive Rolle im kulturellen Prozess zu schaffen. Selbst Theater spielen, in einer Band schrammeln oder Hip-Hop-Tracks aufnehmen sind genauso kulturell wertvoll wie der Cello-Unterricht der Professor_innen-Tochter. Den Zugang zu jeder dieser Formen kultureller Teilhabe so barrierefrei wie möglich zu organisieren ist Aufgabe einer staatlichen Kulturpolitik. Das betrifft sowohl das Angebot in Stadt und Land etwa von entsprechenden Jugendzentren oder staatlich geschaffenen bzw. geförderten freien Bildungsträgern als auch den – möglichst kostenfreien – Zugang zu Unterricht, Proberäumen, Ateliers, Werkstätten und allem, was sonst noch für die aktive Teilhabe notwendig ist. Selbst aktiv zu erleben und zu lernen, was kulturelle Arbeit und Produktion bedeutet, ist der beste Garant, den Kanon der „klassischen“ Kultur zu verstehen. Gerade gegen die immer wieder neu aufkeimende Diskussion um eine angebliche „deutsche Leitkultur“, die aus unveränderbaren Regeln, Normen, Rollen- und Wertvorstellungen bestehen soll, wehren wir uns vehement. Kultur ist kein statisches und hermetisch abgegrenztes Gebilde. Kultur wird vielmehr durch uns gestaltet und ist daher transformationsfähig und veränderbar. Der Begriff „Leitkultur“ und seine heutige Verwendung zielen einfach nur darauf ab, eine auf Nationalität begrenzte, angeblich homogene Gemeinschaft hervor zu beschwören. Der Sinn hinter dieser Verwendung ist so einfach wie gefährlich, nämlich alles vermeintlich Fremde und Nichtdazugehörige abzuwerten und zu stigmatisieren.

Für eine Gedenkkultur jenseits des Opfermythos

Auch Gedenkkultur ist Kultur und insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit mit dem Nationalsozialismus fordern wir eine umfassende Aufarbeitung der NS-Zeit in Kommunen und auf Landesebene. Wir kritisieren, dass die Sächsische Gedenkstättenstiftung vor allem in Persona des damals von der CDU bevorzugten Geschäftsführers einseitig die Erinnerung an das von der SED begangene Unrecht präferiert und die nationalsozialistischen Verbrechen an der Menschheit damit in den Hintergrund rückt. Es ist ein Unding, dass das Engagement der NS-Opferverbände und des Zentralrats der Juden nicht wertgeschätzt wird und dass das erinnerungspolitische Versagen der sächsischen CDU sich in einer nach wie vor extrem ungleichen Verteilung der Projektfördermittel äußert: nämlich 15 zu 85 Prozent zugunsten der Erinnerung an die DDR und die SED. Auch wir sehen die Wichtigkeit, über das Unrecht zur Zeit der DDR aufzuklären, dennoch liegt derzeit der Fokus der Staatsregierung vermehrt nur auf dem Feld und vernachlässigt dabei die Grausamkeiten des NS-Regimes. Das zeigt sich auch in der sächsischen Erinnerungskultur: Schuld und Verantwortung werden einer vermeintlich nur kleinen Gruppe von nationalsozialistischen Sadist_innen zugeschrieben, während die restliche Bevölkerung entweder als hilflose Rädchen in einem Getriebe, reine Befehlsempfänger_innen oder gar als „unschuldige“ Opfer dargestellt werden, was sich in der Auseinandersetzung um die Zerstörung Dresdens und den „Terror“ der Alliierten äußert. Während dessen scheint die NS-Zeit für viele junge Menschen zunehmend abstrakter zu werden, indem kaum noch Analogien zwischen den Verfolgungsprozessen von damals und heutigen Missständen in der Gesellschaft, wie Antisemitismus und Hass gegenüber Minderheiten, nachvollzogen werden können. Wir wehren uns entschieden gegen jeglichen Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus. Insbesondere vor dem Hintergrund des derzeitigen Erstarkens rechter Parteien und Bewegungen, die allen, die nicht in ihr Weltbild passen mit Hass begegnen, muss die Erinnerung an die Barbarei der NS-Zeit in den Fokus rücken. Hierzu soll es kostenfreien Zugang zu Informationen, Bildungseinrichtungen, Museen und Archiven geben, die die Verfolgung und Vernichtung von Jüd_innen, Sinti und Roma, Homosexuellen, Widerstandskämpfer_innen und allen weiteren Opfern des NS-Regimes thematisieren. Nichtsdestotrotz sehen wir auch den Bedarf, eine konsequente Aufklärung über antisemitische Strukturen und Muster innerhalb der DDR zu betreiben und zu befördern. Es ist ein Irrglauben zu vermuten, dass es nur weil sich die DDR selbst als „antifaschistisch“ bezeichnete – und somit faschistisches Gedankengut vom Staat öffentlich diskreditiert wurde – damals keinen Antisemitismus gab. Nur durch eine stringente Aufarbeitung der Geschichte in Hinblick auf Antisemitismus bis in die Gegenwart hinein kann gewährleistet werden, dass auch zukünftige Generationen von dieser Bereitstellung von Informationen profitieren können. Weiterhin setzen wir uns dafür ein, dass jüdisches Leben und jüdische Kultur wieder stärker gefördert wird. Von rechten Parteien und Organisationen ins Leben gerufene Projekte und Veranstaltungen, die menschenverachtende Ideologien verbreiten, dürfen keine staatlichen Fördergelder erhalten, ihnen muss mit entsprechender Ächtung begegnet werden.

Kultur ist Grundversorgung

Gegenwärtig unterliegen Kultureinrichtungen vielen finanziellen Beschränkungen – durch die Kürzungspolitik der sächsischen CDU wurden kulturelle Angebote, insbesondere im ländlichen Raum, stetig abgebaut sowie der Kulturanteil am Gesamthaushalt im Land und in vielen Kommunen gesenkt. Dadurch stehen viele kulturelle und künstlerische Projekte unter ökonomischem Legitimationsdruck oder können gar nicht realisiert werden. Damit der Zugang zu Kultureinrichtungen für wirklich alle gewährt ist, braucht es die Abschaffung von Beschränkungen. Dies betrifft materielle Barrieren wie hohe Eintrittspreise ebenso wie die inhaltlich-programmatische Ausrichtung des Angebots. Damit meinen wir zum einen den kostenlosen Zugang zu Theatern, Museen, Kinos und anderen Einrichtungen und zum anderen Platz für junge, moderne Kulturschaffende, gerade wenn es etwa nur eine Spielstätte im Landkreis gibt. Viel zu oft dominieren die Interessen und Vorlieben eines älteren, finanzkräftigeren Publikums die Spielpläne der Häuser, da dieses über Abonnements und Fördervereine materiellen Druck ausüben kann. Dort, wo sich bereits eine freie Szene entwickelt hat, fordern wir eine deutliche Aufstockung der Fördermittel für diese alternativen, oft extrem prekären Formen innerhalb der Etats. Dabei betrachten wir diese Frage durchaus nicht als „Entweder-Oder“, sondern als Chance zur Bereicherung durch Reibung. So wie von einem jungen Publikum verlangt werden kann, sich an Aufführungen der Wiener Klassik oder Schillers zu entwickeln, so können wir auch von einem älteren Publikum verlangen, sich an den jüngeren, radikaleren Kulturschaffenden zu entwickeln: gemeinsam und kontrovers – jedoch nicht im Verteilungskampf um die schiere Existenz! Damit auch alle, die keine dicke Brieftasche haben, die gleiche Teilhabe an Kultur- und Bildungsangeboten haben, fordern wir ein staatlich subventioniertes „Kulturticket“, welches es allen Menschen ermöglicht, kostenfreien Zugang zu Kinos, Theatern, Museen usw. zu erhalten. Kultur und Bildung dürfen kein Privileg einer kleinen wohlhabenden Elite sondern müssen ein Recht sein, das für alle gleichermaßen gelten soll. In den Regionen und Kommunen, in denen die CDU die kulturelle Grundversorgung in den letzten Jahrzehnten weggekürzt und abgebaut hat, sollen als kurzfristige Lösung mobile Kulturangebote wie z. B. Fahrbibliotheken und Museen auf Rädern eingesetzt und gefördert werden. Sie sollen regelmäßig der Bevölkerung dieser Regionen die kulturelle Teilhabe kostenfrei ermöglichen. Da das jedoch nur als eine Notlösung zu verstehen ist, fordern wir langfristig die Wiederherstellung und Sicherstellung des kulturellen Angebots in allen Regionen und Kommunen. Um eine permanente Präsenz aller Kulturangebote in der Gegend zu gewährleisten, müssen entsprechende Strukturen dafür geschaffen werden, die dies auch leisten können. Alle Bürger_innen sollten jederzeit die Möglichkeit besitzen, sich zu kulturellen Angeboten in ihrer Umgebung informieren zu können. Dafür ist es wichtig, dass diese jeweils individuell auf die Kommune zugeschnitten aufbereitet werden. Gerade in Zusammenhang mit der fortwährenden Digitalisierung sehen wir hier bspw. Potenzial für eine Kultur-App, die genau dies leisten und auch jüngere Leute verstärkt erreichen kann. Die Bürger_innen sollen darüber hinaus die Möglichkeit besitzen, selbst Einträge innerhalb der App vornehmen zu können, sodass ihr kulturelles und künstlerisches Schaffen auch öffentlich zugänglich wird und damit Verbreitung findet. Die Programmierung einer solchen App sollte daher öffentlich durch das Land finanziert werden.

Jugendkulturen anerkennen!

Anhänger von Jugendkulturen wie Streetart, Graffiti oder Skateboarding brauchen feste (sprich: selbstverständliche, öffentliche und freie) Räume, in denen sie sich ohne Repression ihrer Leidenschaft und Kunst hingeben können. Die Kriminalisierung dieser Jugendkulturen als Vandalismus, Störung oder Unordnung weisen wir entschieden zurück. Besonders Graffiti muss endlich als Kunstform und Jugendkultur anerkannt werden und entsprechende Freiräume bekommen. Wir fordern deshalb die flächendeckende Errichtung von legalen Graffiti-Wänden!

Kommunale Club- und Partykoordinationsstellen!

Wir setzen uns für eine lebendige Underground- und Partyszene ein, die nicht niedergestimmt oder kriminalisiert werden darf. Wir fordern deshalb die Einführung von kommunalen Club- und Partykoordinierungsstellen, die sich sowohl um die Belange der bekannten Clubs als auch um die Unterstützung einer nichtkommerziellen Partyszene kümmern. Alle Häuser und Fabriken – egal ob alt oder neu – wollen wir nutzbar machen und ihnen Leben einhauchen – jenseits der Verbarrikadierlogik. Menschen, die vor sich hinverfallende Häuser und Räume für sich und andere nutzbar machen und kulturell aufwerten, sollen nicht für ihr Engagement kriminalisiert werden. Anwohner_innen sollen in die Bebauungspläne einbezogen werden. Zudem fordern wir von den Kommunen den unbürokratischen Zugang zu öffentlichen Flächen und Plätzen für Partys, Open-Airs oder Grillabende – und zwar überall dann und dort, wo keine Anwohner_innen durch massiven Lärm zu Schaden kommen.

Wir fordern

  • Erhalt und massiven Ausbau von soziokulturellen Zentren und Kultur- und Bildungsangeboten besonders im ländlichen Raum
  • Mobile Kultur- und Bildungsangebote in Form von fahrenden Bibliotheken und Museen auf Rädern
  • Alternativen Kulturetat in den Gemeinden für junge und freie Theater, Clubs, Kinos usw. mit unbürokratischem Antragsprozedere
  • Erhöhung des Kulturanteils in Gesamthaushalten
  • Entkriminalisierung und Akzeptanz von Jugendsubkulturen, z. B. Nutzung von leerstehenden Gebäuden
  • Besetzungen zu Zwecken alternativer, selbstorganisierter Jugendkulturarbeit
  • Kostenlosen Zugang zu Einrichtungen wie Museen und Theatern für Kinder und Jugendliche
  • Flächendeckende Errichtung von legalen Graffitiflächen
  • Kommunale Club- und Partykoordinierungsstellen
  • Kostenlos verfügbare Freiflächen für nicht kommerzielle Kulturveranstaltungen vom Konzert übers Freilufttheater bis zur Open-Air-Party
  • Einen niedrigschwelligen Zugang zu Information über Kultur und Bildung in der Umgebung bspw. über Förderung einer Kultur-App
  • Keine Förderung oder Unterstützung von rechten (Kultur)Projekten
  • Eine vielseitige Erinnerungskultur, die über die Verbrechen der NS-Zeit aufklärt und dafür sorgt, dass das Bewusstsein für menschenverachtendes Gedankengut bei allen Altersgruppen wieder in den Vordergrund gerückt wird
  • Keine Verharmlosung der Nazi-Barbarei und entsprechende Förderung und Unterstützung von NS-Opferverbänden und des Zentralrats der Juden
  • Eine Beratungsstelle für Opfer von neonazistischer und rechter Gewalt und Aufklärung über die Gefahren des Aufstiegs der gesellschaftlichen Rechten